4500 km zu Fuß durch Europa
In diesem Artikel fasse ich die Ergebnisse der Studie „The Transeurope Footrace Project“ [1a] sowie zweier Zusatzuntersuchungen [1b, 1c] zusammen, die von einer Forschergruppe um Uwe Schütz verfasst wurden. Ein geschultes Team begleitete den Lauf damals mit einem mobilen MRT und kam zu interessanten Erkenntnissen über die Anpassungsfähigkeit des menschlichen Körpers.
Im Jahr 2009 fand der Transeuropalauf von Bari (Italien) ans Nordkap (Norwegen) statt. Das Rennen war einer von bisher drei transkontinentalen Ultramarathons in Europa. Die Teilnehmer mussten dabei eine extreme körperliche Ausdauerbelastung von 4487 Kilometern in 64 Tagen überstehen – ohne einen einzigen Ruhetag. Die durchschnittliche Etappenlänge betrug 70 km. Dabei reichte die tägliche Spanne von 44 bis 95 km.
30 Teilnehmer und damit rund zwei Drittel der Starter erreichten das Ziel am Nordkap. Die durchschnittliche Gesamtgeschwindigkeit betrug dabei 8,35 km/h. Der beste Läufer absolvierte das Rennen im Durchschnittstempo von 11,9 km/h (Gesamtlaufzeit: 378 Stunden) und damit fast doppelt so schnell wie die langsamste Läuferin (6,2 km/h).
Bisherige Forschung
Im Literaturteil der Studie sind zunächst umfangreiche frühere Erkenntnisse zum Thema Langstreckenlauf dokumentiert. Diese lassen sich wie folgt zusammenfassen:
● Ein Marathonlauf scheint die Strukturen des Kniegelenks nicht zu beeinträchtigen. Einige Forscher vermuten aber ein Risiko für die Arthrose des Knies bei wiederholten Marathonläufen. Umgekehrt wird aber auch eine schützende Wirkung des Laufens für den Knorpel des Kniegelenks diskutiert.
● Bei Langstreckenläufen treten Verletzungen vor allem in den aktiven und passiven Weichteilen der unteren Extremitäten auf. Verletzungen der Muskeln, Sehnen und Faszien der Unterschenkel sind dabei die häufigsten Gründe für den Abbruch von transkontinentalen Läufen.
● Ein besonderes Problem sind „Shin Splints“, ein starker Schmerz im Unterschenkel. Das Syndrom beginnt in den Reibungszonen der Faszien von Muskeln und Sehnen und dehnt sich auf andere Gewebe wie Muskeln, Knochenhaut und Knochen aus, wenn die Laufbelastung anhält und die Schmerzen ignoriert werden.
● Stressfrakturen in den unteren Extremitäten treten häufig beim Gehen oder Laufen weiter Strecken auf. Und zwar insbesondere bei Menschen, die zuvor kein angemessenes Training absolviert haben, um eine Anpassung an die wiederholten und anhaltenden mechanischen Belastungen zu erzielen, denen die Knochen dabei ausgesetzt sind.
● Weitere häufige Verletzungen bei Läufern betreffen das Knie (Meniskus, patellofemorale Schmerzen, Reibungssyndrom des iliotibialen Bandes), den Fuß (Plantarfasziitis) und die Achillessehne (Entzündung).
● Bei gesunden Marathonläufern wurde im Vergleich zu gesunden Nicht-Läufern eine signifikante Vergrößerung des roten Knochenmarks beobachtet. Es wird angenommen, dass dies eine Reaktion auf die sportbedingte Blutarmut ist, die häufig bei hoch trainierten Läufern auftritt.
● Fett ist der wichtigste Brennstoff für lange Ausdauerleistungen. Bei Etappenläufen mit definierten Pausen kann die Körpermasse stabil bleiben oder sogar zunehmen – je nachdem, wie Körperfett reduziert bzw. Muskelmasse geschont oder aufgebaut wird.
● Aerobes Training schützt das Gehirn gesunder Freiwilliger vor dem Abbau. Der normale jährliche Volumenverlust durch altersbedingte Hirnatrophie beträgt etwa 0,11 Prozent.
Tagesablauf beim Transeuropalauf
Ein Transeuropalauf ist nichts für Lang- und erst rechts nichts für Heimschläfer. Frühstück war meist gegen 5 Uhr, sodass die Tagesetappen um 6 Uhr starten konnten. Je nach Länge der Etappe gab es unterwegs fünf bis zehn Verpflegungsstationen. Nach Erreichen des Tagesziels hatten die Läufer Zeit zum Essen, Schlafen und zur allgemeinen Regeneration. Abendessen gab es je nach Etappe zwischen 17 und 21 Uhr. Übernachtet wurde auf Campingplätzen, in Sporthallen oder in Gemeindehäusern. Manchmal waren die Quartiere überfüllt, was zu teils schwierigen Schlafbedingungen führte.
Umgang mit Verletzungen
Die Hauptgründe für das vorzeitige Ausscheiden aus dem Rennen waren Überlastungen der Weichteile des Beins, die zu Entzündungen von Sehnen und Muskeln in den Unter- und Oberschenkeln führten. Die Überlastungen traten auch bei Läufern auf, die bereits erfolgreich vergleichbare Rennen absolviert hatten. Es gab nur wenige Teilnehmer, bei denen sich keine Überlastungserscheinungen der Gliedmaßen zeigten. Einige Läufer hatten derart stark geschwollene Füße, dass sie einen Teil ihrer Laufschuhe aufschneiden mussten, um weiterlaufen zu können. Zwei Personen erlitten im letzten Teil des Rennens eine Stressfraktur, liefen damit aber noch 200 bis 240 km, bevor sie aufgaben.
Die meisten Läufer schafften es aber, ihre Probleme „wegzulaufen“. Dazu verringerten sie die Geschwindigkeit, verwendeten örtlich aufgetragene entzündungshemmende Salben oder nahmen entzündungshemmende Medikamente ein. Vermutlich konnten einige Athleten auch stärkere Schmerzen aushalten als andere. So war es zum Beispiel einigen möglich, trotz Shin Splints weiterzulaufen und diese später sogar loszuwerden.
Im Gegensatz zu anderen Berichten zählten Entzündungen der Achillessehne oder Gelenkprobleme der unteren Gliedmaßen nicht zu den Gründen, aus denen Läufer das Projekt abbrechen mussten. Allerdings erlitt ein Teilnehmer infolge einer kleinen Verletzung an der Hand einen gefährlichen Weichteilabszess, was verdeutlicht, unter welch enormer Belastung auch das Immunsystem während extremer Ausdauerleistungen steht.
Weitere Untersuchungen
22 Teilnehmer wurden vor, während und nach dem Rennen mittels MRT untersucht. Ihr Achillessehnen-Durchmesser nahm signifikant von durchschnittlich 6,8 auf 7,8 mm zu. Zudem wurden bei einigen Läufern mehr oder weniger starke Knochenverletzungen und Weichteilödeme beobachtet. Angesichts der extremen Laufbelastung interpretieren die Forscher die Zunahme des Durchmessers der Achillessehne sowie die Veränderungen der Knochen als Anpassungsreaktion des Körpers. [1b]
15 Läufer nahmen außerdem an einer Untersuchung des Gehirns teil. Diese fand vor, zweimal während sowie acht Monate nach dem Lauf statt. Aufgrund von Ausfällen konnte die vollständige Analyse an allen Zeitpunkten nur bei zehn Läufern durchgeführt werden. Trotzdem sind die Ergebnisse höchst interessant: Demnach nahmen sowohl das durchschnittliche Volumen der grauen Substanz sowie das Körpergewicht während des Rennens signifikant um 6 Prozent ab – und das in nur zwei Monaten. Die Wiederherstellung des Gesamtvolumens nach acht Monaten zeigt aber, dass der Prozess zum Glück umkehrbar ist. [1c]
Fazit
Ein Transkontinentallauf ist ein knüppelhartes Projekt, bei dem alles passen muss, damit man es bis ins Ziel zu schafft.
Quellen:
[1a] Longitudinal Data Acquisition in a Cluster Randomized Mobile MRI Observational Cohort Study on 44 Endurance Runners at a 64-Stage 4,486km Transcontinental Ultramarathon (2012)
[1b] The Foot in Multistage Ultra-Marathon Runners: Experience in a Cohort Study of 22 Participants of the Trans Europe Footrace Project with Mobile MRI (2012)
[1c] Substantial and Reversible Brain Gray Matter Reduction but no Acute Brain Lesions in Ultramarathon Runners: Experience from the TransEurope-FootRace Project (2012)