Interview mit Dietrich Eberle: Mehr als 1000 Marathons gelaufen

30. Januar 2017
Rothorn Schweiz Dietrich Eberle Marathon Ultra
Das ist Dietrich Eberle, der „1000-Marathon-Mann“. Hier am Rothorn (Schweiz) im Jahr 2008. Quelle: Dietrich Eberle

 

Im Dezember traf ich Dietrich Eberle beim Marathon in Northeim. Und das eher zufällig: Im Ziel sprach ich mit einigen Teilnehmern und wurde dabei auf das Vereinsheft des 100 Marathon Club aufmerksam. Auf dem Cover war ein Läufer zu sehen, der kurz zuvor seinen 1000. Marathon gefinisht hatte. Ich meinte zu einem Läufer neben mir: „Wahnsinn, das ist ja echt verrückt!“, worauf ich den Hinweis bekam, dass dieser Mann, Dietrich Eberle, gerade genau neben mir stand.

Was für ein Zufall! Ich war begeistert und fragte ihn gleich, wie er das alles schaffen konnte. Später zu Hause dann die Idee, ein kleines Interview zu machen. Vielen Dank an Dietrich, dass du dir die Zeit genommen hast, die Fragen zu beantworten und ein paar Bilder zu schicken. Weitere Infos wie beispielsweise seine genaue Marathon-Statistik sind auf Dietrich Eberles Website zu finden.

 

Singapur Dietrich Eberle 1000 Marathon Ultra
Den 1000. Marathon lief Dietrich im Jahr 2016 in Singapur. Quelle: Dietrich Eberle

 

Marko: Es ist für die meisten Menschen völlig unvorstellbar – du bist in deinem Leben tatsächlich schon mehr als 1000 Marathons bzw. Ultras gelaufen. Aber irgendwann hast du auch mal angefangen. Wann war dein erster Marathon?
Dietrich: Anfangs lief ich im Wald ein paar Kilometer, um fit zu bleiben, das war zirka im Jahr 1967. Mein Cousin erzählte mir dann von den Volksläufen. Ich begann ab 1972, an diesen Läufen über 10 und 20 km teilzunehmen, oft mit meinem Schulfreund Wolfgang. Dann hatten wir die glorreiche Idee, einmal an einem Marathon teilzunehmen. Wir glaubten, das kann ja nicht viel schwerer als ein 20 km Lauf sein. Also starteten wir am 29. September 1974 in Nordholz bei Cuxhaven unseren ersten Marathon und mussten erkennen, dass das nicht einfach nur das Doppelte eines 20ers ist.

 

Schwarzwald Dietrich Eberle Marathon Ultra
Einer der ersten Marathons von Dietrich Eberle war im Jahr 1975 im Schwarzwald. Quelle: Dietrich Eberle

 

Marko: Es ging also anfangs eher um Bestzeiten als darum, Marathons zu „sammeln“?
Dietrich: Ja, wir wollten möglichst bei jedem Marathon eine neue persönliche Bestzeit aufstellen. Damals liefen wir im Jahr durchschnittlich 2 Marathons. Ganz viele Marathons zu laufen hätte unsere Vorstellungskraft überstiegen. Mir ist auch niemand bekannt, der das damals schon im großen Stil gemacht hat. In den 1970er Jahren gab es das schlichtweg noch nicht. Der Begriff „sammeln“ im Zusammenhang mit Marathon gefällt mir übrigens bis heute nicht.

Marko: Wie groß ist diese exklusive Marathon-Szene heute?
Dietrich: Die Leute, die später zu den Pionieren zählten, liefen damals noch keine Marathons oder Ultras. Das dürfte auch weltweit so gewesen sein. Heutzutage würde ich in Deutschland etwa 300 Läuferinnen und Läufer mit mehr als rund 100 Marathons zur „Sammler-Szene“ rechnen. Der Frauenanteil beträgt etwa 11%, ausgehend von der 100 Marathon Club-Statistik, die auch Nichtmitglieder umfasst. Weltweit gesehen umfasst die World Megamarathon Ranking-Liste des 100 Marathon Clubs Japan alle Läufer mit mehr als 300 Marathons bzw. Ultras. Dies sind rund 500 Leute, davon zirka 15% Frauen. Wie viele Marathon/Ultra-Läufer jetzt noch mit 100 bis 300 Läufen dazu kommen, kann man auf Basis der deutschen Statistik hochrechnen. Dann würde die weltweite „Sammlerszene“ etwa 2000 Läuferinnen und Läufer umfassen.

Marko: Was hat dich dazu bewogen, irgendwann immer öfter an offiziellen Wettkämpfen teilzunehmen, statt einfach nur für dich oder mit Freunden laufen zu gehen?
Dietrich: Bis Ende der 1990er Jahre hatte ich gerade einmal 41 Marathons gefinisht. In dieser Zeit bin ich aber auch oft bei Volksläufen auf kürzeren Distanzen gestartet. Schon da habe ich sehr viele Lauffreunde kennengelernt. Dazu kamen unzählige Trainingskilometer auf meinen Hausstrecken. Außerdem habe ich im Verein wettkampfmäßig Tischtennis gespielt, war Mannschaftsführer und Leiter der Abteilung, habe zeitweise auch Karate und Triathlon betrieben sowie Betriebssport und später auch Bergsteigen. Um das Jahr 2000 herum traf ich dann beim Marathon einige Mitglieder des gerade gegründeten 100 Marathon Club und erfuhr, was alles möglich ist. Zum Beispiel, an jedem Wochenende einen „Doppeldecker“ zu laufen, also einen Marathon am Samstag und am Sonntag. Mit Freunden laufen zu gehen oder an (fast) jedem Wochenende Marathon/Ultra zu laufen, in den Städten oder immer öfter bei schönen und schweren Landschaftsmarathons, war für mich bald ein- und dasselbe. Die Freunde trifft man schließlich auf der Strecke, und so ist das bis heute.

 

Hamburg Dietrich Eberle Marathon Ultra
Beim Hamburg Marathon im Jahr 2007. Quelle: Dietrich Eberle

 

Marko: Die vielen Wettkämpfe kosten Zeit und Geld. Welchen Beruf hast du, der es dir ermöglicht, über Jahre so flexibel planen zu können?
Dietrich: Wieder eine lange Antwort auf eine kurze Frage: Ich bin Diplomingenieur Elektrotechnik und gelernter Starkstromelektriker. Seit 2015 bin ich Rentner. In den letzten 28 Jahren davor war ich bei der Hamburger Hochbahn beschäftigt, die den Öffentlichen Personen-Nahverkehr in Hamburg betreibt, also U-Bahnen, Busse und Alsterschifffahrt. Ich war als Leiter der Planung und Projektierung verantwortlich für Bau und Erneuerung der elektrischen Versorgung der U-Bahnhöfe und Stellwerke. Meine Zeit war knapp. Es ist ja nicht „nur“ der Beruf, sondern auch die Familie, um die man sich kümmern musste, und ein Haus, in dem immer etwas zu reparieren und zu tun ist, und trainieren will man auch noch. Meine Frau Gunla hat selbst über 300 Marathons/Ultras gefinisht und mich immer unterstützt. Die Logistik für unsere/meine Unternehmungen war genauso wichtig wie die Marathon- und Bergreisen selbst. Zum Glück kann man seit vielen Jahren das allermeiste am Computer erledigen (Anmeldungen, Organisation von Anreise und Unterkunft). Die gesamte Planung und Abstimmung war aber immer eine Herausforderung. Ja, und Geld braucht man auch. Überschlägig gerechnet hätte ich mir statt meiner ganzen Unternehmungen auch einen fabrikneuen Porsche 911 kaufen können, aber wer will das schon? Außerdem hätte ich in meinem Leben dann ziemlich viel versäumt.

 

Beruf Arbeit Job Dietrich Eberle Marathon
Dietrich in seinem Job bei der Hamburger Hochbahn, hier vor einem Tunnel der U4 im Jahr 2010. Quelle: Dietrich Eberle

 

Marko: Hast du dich bei der Anzahl deiner Marathons schonmal verzählt?
Dietrich: Im Jahr 2001 wurde ich Mitglied des 100 Marathon Club Deutschland. Erst kurz davor hatte ich eine handschriftliche Statistik über alle Marathons anhand meiner Urkunden und Ergebnislisten erstellt. Vom Club bekam ich dann eine vorgefertigte Excel-Liste, in die ich meine Läufe übertrug. Seitdem habe ich immer sofort und lückenlos alle Läufe eingetragen und die Liste um viele zusätzliche Informationen erweitert, wie auf meiner Webseite zu sehen ist. Deshalb habe ich mich auch noch nie verzählt. Die Liste bekommt der Statistiker des 100 Marathon Club jedes halbe Jahr, die Vereinsstatistik wird auf der Webseite und im Clubheft veröffentlicht.

Marko: Hebst du alle Urkunden, Medaillen etc auf?
Dietrich: Ja, natürlich! Inzwischen habe ich 35 DIN A4 Ordner mit Urkunden, Ergebnislisten und Ausschreibungsunterlagen in meinen Regalen. Wichtige Urkunden und Fotos habe ich eingerahmt und an die Wände gehängt. Die Medaillen habe ich nie gezählt, es dürften über 500 sein. Sie hängen überall im Haus verteilt. Dazu kommen ungefähr 250 T-Shirts von verschiedenen Wettkämpfen. Die Volkslaufmedaillen habe ich in einem Karton, sie wiegen 7 kg. Dazu kommen ungefähr 40 Pokale.

Marko: Was waren die interessantesten (oder verrücktesten) Marathons/Ultras?
Dietrich: Das ist schwer zu sagen bei inzwischen 774 Marathons und 234 Ultras auf 463 verschiedenen Strecken. Ich versuche es mal:
● Bestzeit in Berlin 1984 in 3:08:24 h
● Schwarzwaldmarathon 1987 mit Gipsarm gelaufen
● Auckland Neuseeland 2001, Südlichster Marathon
● Midnight Sun Tromsö 2001, Nördlichster Marathon
● Zermatt 2002, 2225 Höhenmeter, Höchster Zieleinlauf 3010 m Gornergrat
● Pharaonenlauf 100 km El Fayium-Sakkara 2002
● 100 MC Winterserie 20.12.2002 bis 01.01.2003, 13 Marathons in 13 Tagen, Gesamtsieg
● 24-Stunden-Lauf Schenefeld 2008, persönliche Bestleistung 162,6 km
● einziger Finisher 12-Stunden-Lauf Bad Dürkheim 2012, stundenlang Gewittersturm

 

Berlin Bestzeit Dietrich Eberle Marathon Ultra
Dietrich im Jahr 1984 beim Berlin Marathon, wo er seine Bestzeit erreichte. Quelle: Dietrich Eberle

 

Marko: Wahnsinn, meinen größten Respekt! Was waren die schwierigsten Läufe, an die du dich erinnerst?
Dietrich: Auch eine schwierige Frage, das Schlechte vergisst man meistens. Hier mal drei Erinnerungen:
● Georgsmarienhütter „0“ im Jahr 2007, tiefe Matschrinnen auf 50 km
● Supermarathon Rennsteig 2006, fast unterkühlt im Ziel
● 29.12.2007 Öjendorf Marathon, abends und nachts 50. Geburtstag meiner Schwestern gefeiert,
am nächsten Morgen Kanalmarathon in Kiel gelaufen, beinhart!

Marko: Welche Verletzungen hattest du in all den Jahren?
Dietrich: Muskelbündelriss Oberschenkel, Anriss Achillessehne links, Probleme Achillessehne rechts, mehrere Muskelfaserrisse, Zeh gebrochen, Fuß verstaucht, Handgelenk gebrochen beim Bergsteigen, Bandscheibenprobleme.

Marko: Was motiviert dich heute, immer weiter zu machen, und welche Ziele möchtest du gern noch erreichen?
Dietrich: Das, was mich bisher über 42 Jahre, in 37 Ländern und 5 Erdteilen angetrieben hat, ist auch mein Ziel für die Zukunft, nämlich beim Laufen viel von Deutschland und der Welt zu sehen und viele interessante Menschen zu treffen.

Marko: Was waren deine besten Reisen oder Expeditionen abseits des Laufsports?
Dietrich: Hier mal einige meiner Favoriten:
● 1980 Pico de Teide, Teneriffa, 3718 m
● 1995 Schweiz, elf 4000er in 10 Tagen
● 1999 Annapurna-Umrundung mit Thorong Paß 5415 m
● 2001 Bolivien und Chile, 5000er und 6000er Gipfel
● 2004 Mountainbike Transalp Garmisch-Gardasee
● 2011 Tansania, Mount Meru und Kilimanjaro 5895 m

 

Bergwandern Bergsteigen Bergtouren Expeditionen Dietrich Eberle
Beim Bergsteigen am Großgrünhorn im Jahr 1993. Quelle: Dietrich Eberle

 

Anden Erlebnisse Dietrich Eberle
Dietrich hat unbezahlbare Erlebnisse gesammelt, so wie hier in den Anden im Jahr 2001. Quelle: Dietrich Eberle

 

Mountainbike Kykladen Griechenland Dietrich Eberle
Auf einer Mountainbike-Tour in den Kykladen (Griechenland) im Jahr 2005. Quelle: Dietrich Eberle

 

Marko: Hast du ein paar Tipps für Grünschnäbel wie mich, die gerade mal 20 Marathons gelaufen
sind?
Dietrich: Mit 20 Marathons hatte ich damals rein von der Leistung her meine besten Marathonzeiten schon hinter mir. Deshalb sollte man ganz entspannt weitermachen und sich nicht unter Druck setzen, sondern einfach Spaß an den vielen schönen Strecken haben, die es in Deutschland, Europa und dem Rest der Welt gibt. Ich freue mich inzwischen darüber, die Marathonstrecke überhaupt noch bewältigen zu können, mit dabei zu sein und die vielen Lauffreunde zu treffen.

Marko: Vielen Dank für das spannende Interview. Das sind wirklich herausragende und unbezahlbare Erlebnisse, die du gesammelt hast. Ich wünsche dir weiterhin viel Spaß bei allen weiteren Läufen und Expeditionen!

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