Interview mit Prof. Billy Sperlich: Die Zukunft der Trainingswissenschaften

30. Juni 2018

Billy Sperlich ist Professor am Institut für Sportwissenschaft in Würzburg und Gründer der Plattform SportsAndScience. Er forscht mit Schwerpunkt Ausdauersport, insbesondere Rad- und Lauftraining. Im Interview geht es darum, wie wissenschaftliche Studien üblicherweise ablaufen, wo die Probleme liegen und in welche Richtung sich die Forschung entwickelt. Außerdem gibt Billy Sperlich einen Überblick zu einigen Erkenntnissen der Trainingswissenschaft, die als gesichert gelten und macht deutlich, dass ein erfolgreiches Trainingsprogramm etwas sehr Individuelles ist und eine Kombination mehrerer Faktoren erfordert.

 

Wie laufen wissenschaftliche Studien zu Trainingsmethoden typischerweise ab?

Meist werden Trainingsstudien nach ähnlichem Aufbau geplant:Zwei Gruppen mit Versuchspersonen trainieren für einige Wochen nach verschiedenen Methoden und am Ende werden die die Ergebnisse von verschiedenen Leistungstests gegeneinander verglichen. Oft zeichnen sich so Unterschiede in den Trainingsanpassungen zwischen den Gruppen ab, die je nach Größe der Versuchsgruppe und Ergebnisunterschied dann als statistisch signifikant bezeichnet werden. Auf diese Weise werden alle möglichen Trainingsmethoden evaluieren. Im Zeitablauf und mit zunehmender Studienanzahl hat die Wissenschaft daraus Erkenntnisse gewonnen, welche Trainingsformen in den verschiedenen Sportarten Erfolgs versprechend sind und welche nicht. Allerdings gibt es aufgrund unterschiedlicher Rahmenbedingungen, Versuchsgruppen und Studienziele immer wieder auch widersprüchliche Ergebnisse, sodass es häufig auch ein unklares Gesamtbild für die eine oder andere Trainingsmethode gibt.

 

Woran liegt das?

Das Problem ist vor allem, dass es unglaublich viele Störfaktoren gibt. Stellen Sie sich vor, ich untersuche zwei Gruppen, die 4 Wochen lang ein Intervalltraining nach unterschiedlichen Programmen absolvieren. Das Training dauert vielleicht nur 30 Minuten, in denen entsprechend verschiedene Trainingsreize gesetzt werden. Was aber völlig unbekannt bleibt, ist, was die Versuchspersonen eigentlich den ganzen Rest des Tages machen. Es kann gut sein, dass die Ernährung, das Freizeitverhalten, die berufliche Belastung oder die Schlafqualität am Ende einen viel größeren Einfluss darauf haben, wie sich die Leistung der Versuchspersonen in dieser Zeit entwickelt. Es wird zwar darauf geachtet solche Störgrößen zu minimieren, was aber bei sich frei lebenenden und bewegenden Personen mit Berufs- und Alltagsaufgaben so gut wie unmöglich ist. Häufig fehlen zu den Störgrüßen bei vielen Informationen.

 

Das klingt plausibel. Wie könnte man diese Probleme lösen?

Ein aktueller Trend sind die neuen tragbaren Technologien wie etwa Fitnessarmbänder und andere Wearables. Diese Geräte können Aufschluss über einen Teil der zuvor unbekannten Faktoren geben, insbesondere das Aktivitätsniveau im Alltag und die Schlafdauer. Bei anderen Dingen wie der Ernährung und damit dem Energie-Input wird es schwieriger. Hier müssen die Versuchspersonen aktiv mitarbeiten und eigene Aufzeichnungen machen. Der Trend geht aber in die richtige Richtung, nämlich die unzähligen Störfaktoren Stück für Stück ins Versuchsdesign einzubinden. Wir können Versuchspersonen also zunehmend den ganzen Tag lang beobachten, um daraus zu erkennen, was letztlich den Leistungszuwachs mitverursacht. Auf diese Weise werden in Zukunft sicherlich viel aussagekräftigere Ergebnisse möglich sein.

 

Würde man dann überhaupt noch Gruppen bilden und gegeneinander vergleichen?

Ja, durchaus, aber auf andere Art und Weise. Statt die Gruppen an Versuchsteilnehmern im Vorhinein festzulegen, würde man die Daten am Ende der Studie untersuchen und dann rückblickend Gruppen bilden, die vergleichbare Muster in den verschiedenen Lebensbereichen aufweisen. Innerhalb dieser Gruppen sind die wirksamen Reize viel besser zu ermitteln, da die Rahmenbedingungen vergleichbarer sind. Wir können zum Beispiel herausfinden, warum manche Versuchspersonen sehr gut auf einen Trainingsreiz reagieren (biopositiv sind), während andere auf das gleiche Training nicht (bioneutral) oder sogar negativ (bionegativ) reagieren. Zwar lässt sich das zu etwa 50% mit den genetischen Voraussetzungen erklären, aber der restliche Einfluss bleibt oft ein Rätsel. Und dieses Rätsel lässt sich anhand der Lebensgewohnheiten außerhalb des Trainings in Zukunft wahrscheinlich weiter entschlüsseln. Außerdem können wir mit all den zusätzlichen Informationen sogar herausfinden, welche Kombinationen an Lebensgewohnheiten besonders förderlich sind oder welche Dinge eher das Risiko für Verletzungen erhöhen.

 

Welche Dinge sind aus Ihrer Sicht wissenschaftlicher Konsens, was Trainingsmethoden angeht?

Ganz entscheidend ist die Konstanz im Training, vor allem im Kraftsport. Hier gewinnt man durch jede Trainingseinheit nur marginal Muskelmasse hinzu, aber verliert bei einer Trainingspause schnell viel davon. Im Ausdauersport ist der Effekt nicht ganz so groß, hier kann man bereits durch wenige Einheiten nach einer längeren Pause wieder viel Ausdauer aufholen.. Daneben lässt sich auf Basis vieler Studien zeigen, dass intensives Intervalltraining gegenüber dem Training mit hohen Umfängen eher eine Leistungssteigerung ermöglicht. Allerdings muss man das auch im Kontext sehen, worauf es dem Athleten jeweils ankommt. Einem Kurzstreckenläufer wird der Tempogewinn durch Intervalltraining zum Beispiel erheblich mehr nutzen als einem Ultraläufer.

 

Letztlich ist das Training also zu großen Teilen individuell.

Absolut. Und nicht nur das Training. Wir haben zum Beispiel auch bei der Ernährung das gleiche Problem im Studiendesign, dass es unglaublich viele Störfaktoren auf die Untersuchungsergebnisse gibt. Das sieht man gut an den vielen Diät-Strategien, die scheinbar alle für irgendjemanden erfolgreich waren und dann als „wirksam“ verkauft werden. Gleichzeitig sind sie aber so stark von den Rahmenbedingungen abhängig, dass sie sich nicht einfach auf jedermann übertragen lassen, was oft aber überhaupt nicht berücksichtigt wird. Letztlich müsste man neben dem Training weitere 4 Dimensionen kollektiv betrachten, um eine ganzheitliche Betrachtung zu schaffen: Ernährung, (Alltags- & Berufs-) Stress, Freizeitverhalten und Schlaf. All diese Dinge sind relevant und beeinflussen sich gegenseitig.

 

Das eigentliche Training scheint da gar nicht mehr so entscheidend zu sein, sondern eher, alle Rahmenbedingungen gemeinsam zu optimieren.

Die genaue Trainingsgestaltung ist im Detail vielleicht wirklich nicht so entscheidend. Training ist immer individuell, da es stark auf die jeweilige Leistungsbasis und die grundsätzlichen Rahmenbedingungen ankommt. Man kann nicht einfach ein Trainingsprogramm, was für Person A erfolgreich war, auf Person B übertragen und die gleichen Ergebnisse erwarten. Noch nicht einmal für die gleiche Person wäre das der Fall, wenn man es mit einem Zeitabstand von einigen Monaten oder Jahren durchführt, da sich durch das Alter und sehr wahrscheinlich weitere wichtige Rahmenbedingungen viele psychologische und physische Vorausetzungen ändern.

 

Vielen Dank für das Interview!

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