Mein erster Ultratrail-Sieg

10. Oktober 2018
Siegerehrung PfalzTrail Ultra 2018 Marko Gränitz
Siegerehrung mit Markus (2. Platz, links) und Marco (3. Platz). Foto: Frau Meinke

 

Wir schreiben den 29. September. Heute findet der PfalzTrail Ultra statt, der über eine anspruchsvolle Strecke von 85,6 km und 2440 Höhenmeter führt. Noch nie bin ich eine so lange Strecke gelaufen und plane deshalb, das Rennen defensiv anzugehen. Der Start ist morgens um 06:30 Uhr. Sofort stürmt vorn ein mir noch unbekannter Läufer, Markus Meinke, in einem Tempo voraus, das mir jeglichen Gedanken an eine Top-Platzierung raubt.

Auf Platz 6 liegend laufe ich nach wenigen hundert Metern in den riesigen Pfälzerwald hinein, aus dem wir lange Zeit nicht wieder herauskommen werden. Kaum im Wald angekommen wird mir bewusst, dass es hier noch stockfinster ist. Kein Chance, ohne Stirnlampe sicher zu laufen. Also hänge ich mich an die Fersen des vor mir laufenden Teilnehmers, um in dessen Lichtkegel die Hindernisse am Boden zu erkennen. Währen der ersten rund 30 Minuten laufen wir gemeinsam im moderaten Tempo, alles nach Plan.

Später, als es langsam hell wird im Wald, laufen wir auf eine Gruppe von 3 Teilnehmern vor uns auf. Kaum 5 km später befinde ich mich an der Spitze unserer 4er Gruppe. Das Tempo ist jetzt etwas höher, aber alles fühlt sich gut an. Nach einer Weile kommt eine längere Bergab-Passage auf einem Singletrail, auf der ich die Beine „laufen lasse“. Hier tut sich nach hinten eine Lücke auf, die anderen sind plötzlich weg.

Auf Platz 2 liegend spekuliere ich darauf, die Position bis ins Ziel zu halten. Allerdings bin ich allein unterwegs und muss mich umso stärker konzentrieren, alle Abzweige zu erwischen, mich richtig zu verpflegen und eine gleichmäßige Laufintensität zu finden, die man möglichst lange durchhalten kann. Auf keinen Fall sollte es (wieder) passieren, falsch abzubiegen. Aber auch ein Sturz über eine der vielen Wurzeln könnte ein abruptes Ende des Rennens bedeuten.

Nach rund 20 km dann die Überraschung: Der führende Läufer ist in Sichtweite! Ist er vielleicht zu schnell los gerannt und bereits jetzt langsamer geworden? Ich hänge mich an seine Fersen und kann an der folgenden, steilen Bergauf-Passage gut mithalten. Oben angekommen überhole ich und habe kurz darauf schon eine kleine Lücke. Kann ich dieses Rennen vielleicht sogar gewinnen? Diesen Gedanken werde ich auf den nächsten rund 60 km im Kopf hin und her wälzen. Zu stark mental abzudriften ist aber gefährlich: Zum Beispiel stütze ich zweimal auf Bergab-Passagen, weil der hintere Fuß an einer Wurzel hängen bleibt. Aufgeschlagenes Knie, geprellter Oberschenkel, aber es kann zum Glück weitergehen.

Wenn man stundenlang allein durch den Wald rennt, bildet man sich alles Mögliche ein. Bin ich noch auf dem richtigen Weg? Zwickt da etwas im Schienbein? Werde ich immer langsamer? Es ist nicht leicht, unter hoher Belastung über lange Zeit konzentriert zu bleiben. Doch gerade das ist entscheidend, vielleicht mehr noch als das reine Lauftempo. Zwischendurch muss ich auch daran denken, meine Laufuhr mit dem eigens mitgenommenen Akkupack nachzuladen, damit die Aufzeichnung überhaupt lange genug möglich ist.

Ab 40 km kommt langsam Müdigkeit auf. Bei 50 km beginnen die Magenschmerzen. Ab 60 km verkrampft der Magen so sehr, dass ich außer Wasser nichts mehr runter bekomme. Ohne eigene Getränke im Gepäck muss ich auf die Verpflegungsstationen warten, um Wasser zu bekommen. Dort trinke ich schnell große Mengen, was den Magen kurzfristig belastet, aber ihn auch durchspült. Einmal sind die Verpflegungsstationen so weit auseinander, dass es mir wirklich schlecht geht. Ausgerechnet dort ist auch der steilste Teil der Strecke. Sechs Becher Wasser peppen mich wieder etwas auf, als ich endlich an der rettenden Station ankomme. Eine Helferin fragt, ob es mir gut geht. „Ja.“ Ich sehe wohl inzwischen etwas abgekämpft aus…

Etwa bei 70 km biegt der Weg auf die kürzeren Half- und Quarter Trail Strecken ab. Es fühlt sich erleichternd an, nach Stunden des Alleinkampfs wieder andere Läufer zu sehen. Nun ist der Streckenführung bis ins Ziel leicht zu folgen und auch das Höhenprofil wird deutlich einfacher. Ich versuche, ein Gel zu schlucken, aber spucke es wieder aus. Der Magen ist dicht und schmerzt, aber es lässt sich gerade noch aushalten. Körperlich und mental bin ich ziemlich am Ende und bilde mir die ganze Zeit ein, dass jeden Moment der Zweitplatzierte von hinten heran läuft. Nach einigen Geradeaus-Stücken drehe ich mich deshalb um, was aber nichts nützt, da ich fortlaufend Teilnehmer der kürzeren Distanzen überhole und nach hinten hin nicht erkenne, wer auf welcher Strecke läuft.

80 km. Schritttempo an einer kurzen, steilen Rampe. Hört denn diese Strecke nie auf? Ich zwinge mich, die flachen Anstiege ohne Gehpausen durchzurennen. Dann hört man zum ersten Mal von Weitem die Stimme des Sprechers an der Ziellinie durch den Wald hallen. Es ist wie das Licht am Ende eines dunklen Tunnels. Gleich ist es vorbei, nur noch ein paar Kurven, jetzt nicht nachlassen. Ich werde mich nicht kurz vorm Ziel noch überholen lassen.

Nach einer Anhöhe beginnt die asphaltierte Straße. Es ist der letzte Kilometer, aber ich drehe mich trotzdem nochmal um. Erst dann, 100 Meter vor dem Ziel, scheint es wirklich sicher: Ich werde den ersten Ultratrail meines Lebens gewinnen!

Wie ich über die Ziellinie laufe, ist in diesem Moment zweitrangig. Das einzige, was zählt, ist, endlich anhalten zu können. Anhalten und Hinlegen, die beiden Dinge, von denen ich die letzten Stunden geträumt habe.

 

PfalzTrail Ultra 2018 Ziel Marko Gränitz
Endlich geschafft, was für eine Erleichterung! Quelle: www.pfalztrail.de

 

Es dauert etwa zwei Stunden, bis meine Magenschmerzen verschwinden und ich wieder etwas trinken und essen kann. Mein Immunsystem ist scheinbar völlig am Boden, zwei Tage später werde ich erkältet sein. Es war ein Rennen an der absoluten Leistungs- und Schmerzgrenze, aber mit diesem Ergebnis hat es sich wirklich ausgezahlt.

 

Ergebnis Ergebnisliste PfalzTrail Ultra 2018
Top 5 Männer beim PfalzTrail Ultra im Jahr 2018. Ich habe einen riesigen Vorsprung, aber wusste das natürlich erst nach dem Zieleinlauf… Quelle: www.pfalztrail.de

 

Einige Tage später schaue ich mir das Video vom Zieleinlauf nochmal an und wundere mich, wie leicht es doch von außen betrachtet aussieht. Wie der Schein doch trügen kann!

Vielen Dank an dieser Stelle auch an meinen Sponsor WH SelfInvest, der mich schon im 3. Jahr unterstützt. In dieser Zeit gab es einige Erfolge, aber auch Niederlagen. Inzwischen habe ich einige Erfahrungen im Ultralaufen gesammelt und hoffe, in Zukunft an diesen Erfolg anknüpfen zu können.

 

Danke für das Video an www.pfalztrail.de

 

Und hier noch ein schöner Beitrag vom Organisator Laufszene Sachsen zum Rennen: Ultratrail – Warum tut man das?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


The reCAPTCHA verification period has expired. Please reload the page.

Diese Artikel könnten auch gefallen ...