Tiefste Tiefs und höchste Hochs beim 24-Stunden-Lauf

7. Juli 2021
24 Stunden Lauf Ende Ziel Bad Blumau Österreich
Es ist vorbei… Hinsetzen, Schuhe aus, und dieses Erinnerungsfoto schießen.

 

Als ich nach unserem Mallorca-Urlaub etwas spät mit der Vorbereitung für den 24-Stunden-Lauf in Bad Blumau begann, waren die Ziele hoch gesteckt: Nach den knapp 226 km beim ersten Versuch sollten diesmal 240 km her. Das ist die B-Norm für die Deutsche Nationalmannschaft. Mein Jahresziel war es, mich damit noch für die Weltmeisterschaft im Oktober zu qualifizieren. Doch es sollte alles ganz anders kommen.

 

Die Vorbereitung

Zuerst eine etwas ungewöhnliche, aber sehr schmerzhafte Laufverletzung: Eine akute Venenthrombose weit oben am Oberschenkel. Die einzige Lösung, um meine Teilnahme am Lauf noch zu sichern, war eine ambulante Operation. Danach lag ich fünf Tage mit starken Schmerzen an der genähten Wunde im Bett. In dieser Zeit hat der Körper sicherlich etwas Muskulatur bzw. Laufform abgebaut. Hohe Umfänge waren erst 10 Tage nach dem Eingriff wieder möglich, aber dafür dann beinahe schmerzfrei. Danke an dieser Stelle an den behandelnden Chirurgen, der eine klasse Arbeit gemacht hat!

Mir blieben dann aber nur noch 5 Tage, um hohe Laufumfänge zu absolvieren, bevor das Tapering beginnen musste. Ich lief noch zweimal 60 km, einmal in starker Hitze. Eigentlich war in der Vorbereitung auch ein 100er geplant, um die Ernährungsstrategie einem echten Härtetest zu unterziehen, aber die Verletzung hatte das unmöglich gemacht. Ich hatte also nur Gewissheit, dass es auf 60 km gut funktioniert und hoffte, damit auch für den Wettkampf richtig zu liegen: Ich setzte auf Slow Carb, konkret Isomaltulose. Von diesem langsamen Kohlenhydrat kann der Körper zwar nur 30 Gramm pro Stunde aufnehmen, aber gleichzeitig steigt der Insulinspiegel viel weniger an als bei normalem Zucker bzw. Maltodextrin, sodass die Fettverbrennung sehr gut ablaufen kann, solange man nur langsam genug läuft. Auf diese Weise wollte ich mich auch davor schützen, zu schnell loszulaufen.

Der nächste Hammer war dann die Absage der Weltmeisterschaft im Oktober. Das war völlig überraschend, da es im Vorfeld überhaupt keine Signale in diese Richtung gab. Gleichzeitig nahm es mir aber auch den Druck, unbedingt die 240 km erreichen zu müssen. Ich sah das Rennen nun eher als Chance auf eine Top-Platzierung im Rahmen der Deutschen Meisterschaft und einen guten Trainingslauf zusammen mit den Vereinskollegen.

Insgesamt fuhren wir zu viert nach Bad Blumau. Mit dabei waren die Teamkollegen Florian, Walter und Georg. Im Vorfeld hatte ich die gleiche Unterkunft für uns organisiert. Diese lag weniger als einen Kilometer von der Strecke entfernt und war spitzenmäßig. Danke an dieser Stelle vielmals an Familie Brünner! Zudem fuhren noch zwei Betreuer der Laufgemeinschaft Würzburg im Wohnmobil mit, Christoph und Paul. Sie parkten direkt an der Strecke und konnten uns so optimal mit allem versorgen.

 

Das Rennen

Schon morgens war klar, dass es ein heißer Tag werden würde. Zwar waren „nur“ knapp 30 Grad gemeldet, aber der Rundkurs lag fast komplett in der knallenden Sonne. Ich hatte mich ganz gut darauf eingestellt:

  • weiße Armlinge als Sonnenschutz + Wasser für kühlenden Effekt
  • reichlich Sonnencreme + nachcremen nach 5 Stunden
  • nasses Buff-Tuch im Nacken
  • Salz im Getränkemix
  • Sonnenbrille

 

Start um 10 Uhr. Wie geplant kontrolliert langsam mit etwa 5:40 min/km. Erst laufe ich eine Weile zusammen mit Martin Armenat, dann einige Stunden mit Julia Jezek. Bis 50 km ist alles ganz entspannt, nur die Hitze macht allen zu schaffen. Auf der Strecke gibt es drei kalte Duschen, die tagsüber mit moderatem Wasserdruck durchweg laufen. Das ist perfekt zum Kühlen von Gesicht und Händen sowie zum Durchnässen von Mütze und Armlingen. Die Beine mache ich statt an den Duschen lieber ab und zu am Wohnmobil mit einem Lappen nass, damit das Wasser nicht in die Schuhe läuft, die Haut aufweicht und Blasen verursacht (immer in Erinnerung an den Hofheim-Triathlon als „Worst Case“).

Bis etwa 100 km läuft alles nach Plan. Doch dann bekomme ich plötzlich das Gefühl, dass mir der „Saft ausgeht“. Rückblickend bin ich zu lange bei der Slow-Carb-Strategie geblieben und habe so die Glykogenspeicher leergelaufen. Wir wechseln zwar schnell auf einen Mix aus Maltodextrin und Buffer, aber wirklich besser wird es dadurch nicht. Es ist ein energetisches Loch, das sich nicht mehr auffüllen lässt. Selbst mehrere Becher Cola helfen nicht – und das so früh im Rennen, es ist noch nicht einmal die Hälfte vorbei…

Nach 120 km muss ich erstmals eine ganze Runde gehen. Zum körperlichen Tief kommt jetzt das mentale hinzu. Die Norm ist nicht mehr zu schaffen, die Konkurrenten zeigen keine Schwächen, und die Nacht geht gerade erst richtig los. Jede Runde nehme ich flüssige Energie auf, aber es reicht einfach nicht. Der Trend zeigt bergab, die Gehpausen werden länger, die Frage nach dem Sinn wird größer.

Nach rund 150 km kommt ein Schwindelgefühl dazu. Wahrscheinlich bin ich unterzuckert. Das ist jetzt etwas Ernstes. Ich verlängere nochmals die Gehpausen und lege bei Kilometer 155 und 163 sogar Sitzpausen am Wohnmobil ein. Aber der Schwindel bleibt. Die Betreuer versorgten mich bestens und reden mir gut zu. Bei der dritten Sitzpause beginne ich auch noch zu zittern. Es scheint jetzt alles aussichtslos. Ich kann einfach nicht mehr aufstehen. Der Körper ist komplett leer, eine kraftlose Hülle. Mir wird klar, dass ich aussteigen muss, um meine Gesundheit nicht zu gefährden.

Paul verfrachtet mich auf die Liege und deckt mich mit mehreren Schichten zu, um den Schüttelfrost zu dämpfen. Ich denke nur noch daran, wie ich am besten zur Unterkunft und ins warme Bett komme. Das Rennen ist abgehakt. Ich beobachte eine Weile, wie die Läufer auf der Strecke vor mir vorbeiziehen. Unsere Betreuer haben so viel Zeit und Mühe investiert, um hier dabei zu sein, und jetzt steige ich aus… Ein beschissenes Schuldgefühl macht sich breit. Noch nie habe ich einen Ultralauf abgebrochen. Aber einmal ist immer das erste Mal. Mit all diesen Gedanken schlafe ich ein.

Als ich wieder aufwache, sitzt Paul im Stuhl neben mir. Ich habe nur etwa eine halbe Stunde geschlafen. Wegen der vielen Cola muss ich auf Toilette, nur deshalb bin wohl überhaupt aufgewacht. Paul hilft mir hoch und ich gehe auf der Strecke weiter bis zum Dixi. Dabei wird mir etwas wärmer. Ich versuche eine zweite Runde, auf der es plötzlich deutlich besser geht, sogar mit vorsichtigem Joggen. Eine Runde später laufe ich wieder durchweg. Noch eine Runde später ist auch der Kopf wieder klar. Das beste Gefühl ist dabei, dass ich noch im Rennen bin!

Niemals hätte ich vorher geglaubt, dass ein solches Comeback möglich ist. Ab jetzt ist klar: Wenn ich durchlaufen will, muss ich alles in mich hineinpumpen, was der Magen mitmacht: Extra starker Malto-Buffer-Mix, Cola, Gels. Jede Runde etwas. Zwar bedeutet das auch, alle fünf Runden 30 Sekunden für eine Pinkelpause zu verlieren, aber das ist jetzt alles egal.

Durch die lange Pause habe ich zusätzlich zu den Gehpausen etwa 1,5 Stunden verloren. Die Spitze ist also unerreichbar, aber nach hinten hin hatten auch andere Läufer einige Probleme. Es ist jetzt etwa 04:30 Uhr, also sind noch mehr als fünf Stunden zu laufen. Und mein Tempo ist gut, vielleicht sogar das schnellste im Feld. Es sollte also noch etwas nach vorne hin gehen, was die Platzierungen angeht, und die Mannschaftswertung gibt es ja auch noch.

Runde für Runde wird abgespult, der Rhythmus passt. Gegen 7 Uhr habe ich nochmal ein kleines Energietief, aber kann es mit noch mehr Cola überwinden. Etwa eine halbe Stunde später ist der Akku meiner GPS-Uhr leer, was im Nachhinein schade ist, da ich gern die Rundenzeiten analysiert hätte. Gegen 8 Uhr liege ich wieder auf Gesamtplatz 6 und Platz 3 der Deutschen Meisterschaft. Nur Florian könnte ich noch einholen, aber darauf lege ich jetzt überhaupt keinen Wert. Denn ich habe ohnehin nicht das Gefühl, hier mehr als die aktuelle Platzierung verdient zu haben.

Die letzte Stunde läuft dann nochmal richtig gut! Der Grund dafür: Christoph sagt uns gegen 9 Uhr, dass wir einen zunehmend kleiner werdenden Vorsprung in der Mannschaftswertung haben, den wir nicht mehr hergeben dürfen. Also heizen wir uns gegenseitig an, nochmal richtig Gas zu geben. Ich will jetzt alles aus mir rausholen, um unseren Betreuern etwas für ihren entscheidenden Support zurückzugeben. Die letzten zwei Runden sind wohl die schnellsten meines ganzen Rennens.

Unser dritter Mann in der Teamwertung ist Walter, der ebenfalls nochmal vom Gehen ins Joggen wechselt und am Ende über 140 km auf der Uhr hat – und das mit Ende 60! Georg, der sich 100 Meilen vorgenommen hatte und stattdessen eigentlich den dritten Mann im Team gestellt hätte, musste leider verletzungsbedingt aussteigen. Das Team hinter uns holte bis zum Schluss trotz allem noch deutlich auf, aber am Ende reichte uns ein hauchdünner Vorsprung von 790 Metern für den Sieg. Es ist das unglaubliche Happy End eines zwischenzeitlich katastrophalen Rennens! Das absolute Hochgefühl als unfassbarer Kontrast zu den Abgründen der vorherigen Nacht.

 

24 Stunden Lauf Siegerehrung Mannschaft Deutscher Meister Laufgemeinschaft Würzburg Bad Blumau
Happy End eines zwischenzeitlich katastrophalen Rennens: Deutscher Mannschaftsmeister mit der Laufgemeinschaft Würzburg – nur haarscharfe 790 Meter Vorsprung (573,53 vs. 572,74 km). Foto: Christoph Hoffmann

 

Trotz einer enttäuschenden Leistung von knapp 214 km bin ich im Ziel absolut zufrieden! Zum einen natürlich wegen der Freude über den grandiosen Teamerfolg. Aber für mich selbst vor allem deshalb, weil ich ein Tief überwinden konnte, das mir unüberwindbar erschien. Vielen Dank deshalb nochmals an unsere beiden Betreuer! Ohne euch wäre all das nicht möglich gewesen. Von außen betrachtet mag sich das wie ein Standardspruch anhören, aber wer dabei war, weiß ganz genau, dass der Meisterschaftstitel an einem unglaublich dünnen, seidenen Faden hing – nicht nur wegen mir, auch Florian hatte in den Morgenstunden ein ziemliches Tief mit Sitz- und Liegepausen und wurde am Wohnmobil bestens versorgt.

Herzlichen Glückwunsch natürlich auch an die neuen Deutschen Meister Martin Armenat und Julia Jezek. Ihr habt es euch beide absolut verdient und jeden Meter erkämpft! Vor und während der Siegerehrung waren euch die Strapazen anzusehen. Alles richtig gemacht, und alles rausgeholt.

 

Der Tag danach

Da ich diesmal extreme energetische Probleme hatte, konnte ich muskulär nicht ganz 100 Prozent aus mir herausholen. Entsprechend „gut“ geht es mir dann auch nach dem Wettkampf. Schon am Nachmittag habe ich in der Unterkunft wieder richtigen Hunger, und nach dem Essen kann ich etwas schlafen. Abends gönne ich mir beim gemeinsamen Essen im nahegelegenen Restaurant als „Fast-Vegetarier“ sogar mal ein deftiges Putenschnitzel.

Michaela hatte mir für abends extra eine Schmerztablette mitgegeben, damit ich einschlafen kann. Diesmal brauche ich sie gar nicht. Am Montag drehe ich eine schöne Radrunde mit dem Mountainbike unserer Gastgeber – zur herrlich gelegenen Riegersburg und mit Zwischenstopp an der Zotter Schokoladenmanufaktur. Dabei fahre ich natürlich bewusst sehr (!) locker und langsam und mache viele Pausen, um aktiv zu regenerieren und keine zusätzliche Belastung zu verursachen.

Florian und Georg waren am Vormittag schon abgereist. Walter verbringt den Montag in der bekannten Rogner-Therme. Mit ihm fahre ich am Dienstag wieder nach Hause, also zwei Tage nach Wettkampfende. Das war mit Sicherheit besser, als schon am Montag die lange Fahrt (rund 700 km) auf sich zu nehmen.

 

Links

Offizielle Ergebnisliste

Artikel der LG Würzburg

Artikel Deutsche Ultramarathon-Vereinigung

Artikel auf Leichtathletik.de

2 thoughts on “Tiefste Tiefs und höchste Hochs beim 24-Stunden-Lauf”

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